Auf den Spuren einer Legende

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Meine ersten Erinnerungen an die Rallye Sanremo gehen auf das Jahr 1985 zurück. Über diverse Umwege und Hände im Westen und Osten Deutschlands kam die Ausgabe 10/1983 der "rallye racing" zufällig auch zu uns nach Hause. Der Bericht zur 25. Rallye Sanremo war zwar bereits 2 Jahre alt, aber meine Mutter las ihn mir abends im Bett so lebendig vor, dass ich das Gefühl hatte, ich wäre da gewesen. Der zweimalige Weltmeister Walter Röhrl fuhr damals im Lancia 037 auf 33 von 56 Wertungsprüfungen (WPs) Bestzeit und drückte damit der gesamten Rallye seinen Stempel auf – obwohl er sie nicht gewinnen durfte. In der Nacht träumte ich von den Ligurischen Seealpen, den "Tifosi" und der Faszination des italienischen Rallye Klassikers. 31 Jahre später wurde dieser Traum wahr...

Veit König und ich flogen letzte Woche von Berlin aus nach Nizza. Von dort ging es mit dem Mietwagen weiter nach Sanremo und zu den WPs, die schon so viele Geschichten und Dramen erlebten und uns beiden gehörig Respekt einflößten. Respekt nicht nur wegen der anspruchsvollen Streckencharakteristik, sondern auch wegen des gesamten Flairs. Ob des "RÖHRL" Schriftzuges an der berühmten Mauer von Baiardo oder der kleinen Cafés in den Bergdörfern mit ihren unzähligen originalen Rallyesouvenirs. Überall spürten wir, dass in dieser Region Rallye noch gelebt wird und die Menschen den Sport lieben (zumindest eine Woche im Jahr).

Doch Tradition hin oder her – sportlich gesehen hatten wir nach dem Shakedown überhaupt kein gutes Gefühl. Auf der nur 3,5 km langen Strecke hoch nach San Romolo verloren wir ca. 10 Sekunden auf die Zeiten der schnellsten Teams innerhalb der Suzuki Rally Trophy. Wir rechneten fest damit, dass wir während der Rallye absolut chancenlos sein werden und befürchteten, dass uns die Besten auf den bis zu 25 km langen WPs Minuten einschenken würden. Die Qualität und Leistungsdichte innerhalb der Trophy ist nämlich erschreckend gut und unerwartet hoch. Wir haben (bis jetzt) dagegen nur einen einzigen Trumph in der Hand: Erfahrung.

Die 63. Ausgabe der Rallye begann am Freitag Mittag bei angenehm warmem Frühlingswetter mit der 11 km langen Sturzfahrt von Baiardo nach San Romolo. Überraschenderweise verloren wir nur 11 Sekunden auf die Bestzeit. Wir büßten lediglich Zeit ein, sobald es die Passstraßen berghoch ging. Dann aber richtig. So geschehen auf WP2 und 3. Wir konnten uns diesen Unterschied nicht erklären, denn Veit ist nun bei Weitem kein Nasenbohrer, der das schnelle Autofahren über Nacht verlernt hat.

Kurz vor dem Ziel des zweiten Durchgangs um die Bergspitze von "Bignone", stand plötzlich der vor uns gestartete Swift des Teams Rao/Zeppegno nach einer schnellen Kurvenkombination mit völlig zerstörter Front direkt vor uns und blockierte die komplette Strecke. Wir mussten anhalten, checken, ob beide Fahrer OK sind und warten bis die Strecke von den Zuschauern wieder frei geräumt wurde. Wir fuhren langsam bis ins Ziel weiter, um dem offiziellen Sportwart im Ziel vom Vorfall zu berichten, so wie es das internationale Sportgesetz vorgibt. Doch trotz gelber Flagge an besagter Stelle fuhren alle hinter uns gestarteten Teams, bei nun befreiter Strecke, mit voller Geschwindigkeit weiter, so wie es eben die nationalen Regeln vorgeben. Wir verloren wegen des Vorfalls 1:20 Minute. Doch das wollten wir nicht auf uns sitzen lassen. Während der Pause zur Nachtetappe suchten wir die Rallyeleitung auf und baten um ein Gespräch mit dem Präsidenten des veranstaltenden Motorsportclubs. Wir erklärten unsere Situation, die letztendlich vom GPS-tracking System nachvollzogen und bestätigt werden konnte und bekamen schließlich eine faire Zeit zugeschrieben.

Dann ging es in die Nachtetappe, die zur Rallye Sanremo gehört, wie das Amen in der Kirche. Zu Tausenden strömten die "Tifosi" in die Bergdörfer, sammelten sich an den unmöglichsten Stellen und feuerten jeden einzelnen Teilnehmer an, als würde er um den Gesamtsieg fahren. Vielleicht hätten wir das schon früher gebraucht, denn in der Nacht lief es für uns deutlich besser als am Tag. Leider wurde die 22 km lange Königsprüfung von Apricale über Baiardo nach San Romolo, wegen zu vieler Unfälle und stehen gebliebener Fahrzeuge abgesagt. Somit endete unser erster Tag auf Platz 6.

Nach 3 Stunden Schlaf ging ging es am nächsten Morgen weiter. Der Himmel war bedeckt und in den Bergen regnete es. Die erste WP des Tages war mit 25 km auch gleichzeitig die längste der Rallye. Nach 4 km waren wir in den Wolken verschwunden. Sichtweite gleich Null. Volle Konzentration auf den Aufschrieb, um ja den Film nicht abreißen zu lassen. Veit bestätigte die "markanten" Ecken mit einem kurzen: "Hab ich!" Im Ziel hatten wir ein gutes Gefühl, waren völlig durchgeschwitzt aber begeistert. 4. Zeit. So muss Rallye sein.

Wir hatten gehofft, dass es so weitergehen würde, doch dann begann unsere Kupplung zunehmend nachzulassen und rutsche immer mehr durch. Nach dem letzten Service dachten wir kurz daran aufzuhören, aber wir beschlossen: "Solange sich alle 4 Räder noch drehen, fahren wir weiter."

Noch zwei WPs und noch einmal über den langen Kanten im Nebel von "Bosco Di Rezzo". Wir fuhren 10 Sekunden schneller als im ersten Durchgang. Hoffen und Bangen. Wird die Kupplung durchhalten? Noch einmal 5 km bergab. Unserere italienischen Mechaniker waren außer sich und zitterten an den Zeitmonitoren, die ganze Zeit mit uns mit. Mit weidwundem Swift erreichten wir glücklich und mit letztem Kupplungsschluss das Ziel der Rallye am Hafen von Sanremo und retteten so einen hart erkämpften 5. Platz in der Trophy Wertung.

Veit besorgte uns zwei kleine Bier für die Zielrampe. Ein unbeschreibliches Gefühl übermannte uns und Veit sagte immer wieder: "All das kann uns keiner mehr nehmen, Henry." Ich konnte dies nur bestätigen...