Die Kampfschwelle

Nachdem ich im letzten Jahr einen Triathlon als Zuschauer besucht und bei meiner Premiere als Teilnehmer endgültig wieder Spass an einer Ausdauersportart gefunden habe, freute ich mich schon seit dem Winter auf den diesjährigen Berliner Sprint Triathlon rund um die Insel der Freundschaft in Treptow. Zum einen weil die gesamte Veranstaltung top organisiert ist, zum anderen weil sie nur 10 Minuten von meinem Zuhause entfernt ist. Mit der Öffnung der Starterliste, liess daher auch meine Nennung nicht lange auf sich warten: 750 m Schwimmen - 20 km Radfahren - 5 km Laufen.

Da meine Arbeit noch immer nur bedingt ein gezieltes Training zulässt, musste ich wieder einmal andere Wege finden, um mich auf die Veranstaltung vorzubereiten. Wie schon im letzten Jahr, wollte ich auf keinen Fall das Laufen trainieren. Also volle Konzentration auf den Ausbau meiner Schwächen. Einmal pro Woche Kacheln zählen in der Schwimmhalle und zwei bis drei Radtouren von der Arbeit in Potsdam zurück nach Hause. Glücklicherweise „leiden“ inzwischen ein paar meiner Kollegen unter einer gleichen Radfahrbegeisterung wie ich, so dass sich daraus eine gut funktionierende Fahrgemeinschaft herausbildete. Alles in allem fühlte ich mich jedenfalls gut vorbereitet, trotz einer leichten Erkältung.

Doch am Sonntagmorgen, dem Tag der Veranstaltung, kamen längst vergessene Gefühle aus meiner Zeit als Leistungssportler wieder auf. Ich stand wie gewohnt auf und aß mein Müsli. Dabei merkte ich, wie ich auf einmal nervös wurde. Irgendwie fehlte mir die Unbekümmertheit und Leichtigkeit, wie ich sie noch bei meinem Premierentriathlon hatte. Ich war eindeutig ambitionierter und gleichzeitig besorgter. War es das Resultat des erhöhten Trainings oder das leichte Ziehen in meinem rechten Oberschenkel, dass sich seit Mittwoch bemerkbar machte? Nein, es war die Angst davor die Schwelle zu überschreiten, wo es anfängt weh zu tun und man beginnt seinen eigenen Erwartungen gerecht zu werden. Doch zuerst galt es eine andere Schwelle zu überschreiten.

Es bedarf schon einiger Überwindung ohne Neoprenanzug in die 16°C kalte Spree zu springen und fast bewegunglos an der Startlinie im kühlen Nass auszuharren und auf den Startschuss zu warten. Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte ich von irgendwoher den erlösenden Countdown und dann war es endlich soweit. Knapp 300 „Neoprenkampffische“ wurden auf die Jagd geschickt und ich war Ihr Fressen. Wieviele Schläge ich im Getümmel abbekam und wie oft ich auf einen dieser langsamerem „Neoprenkampffische“ aufschwomm und wieder „Tempo“ herausnehmen musste, konnte ich nicht mehr zählen. Zwischenzeitlich dachte ich nur noch daran, warum ich eigentlich jede Woche Schwimmen war, wenn ich es hier sowieso nicht umsetzen kann? Nach einer Runde um die Insel der Freundschaft und 17:21 Minuten kam ich als 124. aus dem kalten Wasser. Doch die Kälte spürte ich schon lange nicht mehr, denn nun war ich heiss und wollte nur noch aufs Fahrrad. Von jetzt an war ich es, der auf der Jagd war und alle Anderen mein Fressen.

Der Wechsel zum Radfahren klappte problemlos. 4 Runden à 4.4 km galt es zu absolvieren und Windschattenfahren war erlaubt. Im Nu holte ich einen nach dem anderen ein. Meine Beine gingen gut und zogen mich an eine gut funktionierende Gruppe von fünf Athleten heran. Im Zug konnten wir viele weitere Plätze gutmachen. Nach der dritten Runde und einem fast 40er Schnitt wurde ich im Gegenwind etwas Müde. Aber dann hörte ich auf einmal meinen Vater brüllen: „Henry Druck!“ Genau was ich brauchte - eine Kampfansage. Aus dem Sattel raus und noch einmal antreten, um mich immer weiter nach vorne zu kämpfen. Nach 31:13 Minuten und der 25-besten Radzeit wechselte ich als 70. auf die Laufstrecke und zur finalen Attacke.

Von der Insel der Freundschaft ging es 2.5 km durch den Treptower Park, entlang des Spreeufers bis in Sichtweite der Oberbaumbrücke und wieder zurück. Ich fand schnell meinen Rhythmus und spielte meine Stärke im Laufen voll aus. Einen nach dem Anderen konnte ich trotz zunehmend schwerer Beine überholen. Ich war schon lange an dem Punkt angekommen, wo die Schwelle überschritten wurde und man alle schmerzenden Signale des Körpers ignoriert nur um weiter nach vorne zu kommen. An der Wendemarke eine kurzer Blick auf die Stoppuhr. Die Pace stimmte. Jetzt nur nicht nachlassen. Schrittlänge halten, auch wenn es weh tut. In Sichtweite des Ziels sah ich noch zwei Athleten vor mir. Die musste ich noch packen. Schlussspurt. Dem konnten sie nichts entgegen setzten. Ziel. Kurze Freude, doch kein piepen meines Transponders. Bis mich der Kampfrichter darauf aufmerksam machte, waren die Beiden auch schon wieder an mir vorbei. Und so verschenkte ich kurioserweise nach dem Ziel die hart erkämpften zwei Plätze wieder.

Später stellte sich heraus, dass ich durch dieses Fauxpas den Podiumsplatz in der Altersklasse M30 verspielte. Die neuntbeste Zeit im Laufen tröstete mich jedoch darüber schnell hinweg. Am Ende blieben ein guter 4. Platz in meiner Alterklasse, ein 35. Platz in der Gesamtwetung und die Erkenntnis: Die Kampfschwelle zu überwinden ist immer noch das beste Egodoping. Sauber.